Skispringen
Ekstase beim Skispringen in Garmisch-Partenkirchen: Sport-KURT-Autorin Lisa Herbold und ihre Mutter erleben die Vierschanzentournee
Lisa Herbold Veröffentlicht am 20.01.2024
Ein Traum geht in Erfüllung: Zusammen mit ihrer Mutter besuchte unsere Autorin Lisa Herbold das Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen. Schon die 149 Meter hohe Schanze raubte beiden den Atem.
Foto: Lisa Herbold
Mit fünf Jahren stand ich im österreichischen Obergurgel zum ersten Mal auf Skiern und ab da war es um mich geschehen. Ob Kaiserwetter oder Schneesturm, brennende Oberschenkel oder frierende Hände – für mich konnte ein Skitag nicht lang genug sein. Die Leidenschaft für den Skisport ist bis heute geblieben und hat auch das Interesse an anderen Wintersportarten geweckt. Besonders das Skispringen hat mich schon immer fasziniert. Als Sven Hannawald im Jahr 2002 als erster Athlet alle vier Springen der Vierschanzentournee gewann und ihm 20.000 Menschen in den Stadien mit Deutschlandfahnen zujubelten, saß ich vorm Fernseher und wusste genau: Das muss ich irgendwann mal live erleben.
Elf Jahre später habe ich mir diesen Traum erfüllt. Gemeinsam mit meiner Mutter, ein genauso großer Skisprung-Fan wie ich, bin ich für eine Woche ins bayerische Garmisch-Partenkirchen gefahren. Hier findet traditionell am 1. Januar das zweite Springen der deutsch-österreichischen Vierschanzentournee statt, der Höhepunkt des Skisprung-Weltcups: das berühmte Neujahrsspringen.
Beste Voraussetzungen für die Qualifikation am 31. Dezember
Wir machten uns bereits zu Silvester auf den Weg zur Olympiaschanze, denn da wir schon mal vor Ort waren, wollten wir auch die Qualifikation für das Springen am Neujahrstag sehen. Die Voraussetzungen waren hervorragend: Strahlender Sonnenschein, wenig Wind und die deutschen Skispringer in Top-Form.
Bereits von Weitem konnten wir die 149 Meter hohe Sprungschanze sehen, die für die Olympischen Spiele im Jahr 1936 erbaut und in den 70er Jahren modernisiert wurde. Ein beeindruckendes Bauwerk. Ich fragte meine Mutter schmunzelnd, ob sie sich trauen würde, dort runterzuspringen. Entschieden entgegenete sie mir: „Da müsste mich der Hahn hacken.“ Ich stimmte ihr zu.
Am Olympia-Skistadion angekommen ging alles sehr schnell: Die Einlasskontrolle verlief problemlos und nachdem wir Deutschlandfahnen und Glühwein gekauft hatten, begaben wir uns auf unsere Plätze in der ersten Reihe in Block B. Einige Minuten sprachen wir kein Wort, sondern starrten voller Ehrfurcht den Hang zur Sprungschanze hinauf. Wir waren uns einig, dass wir die Dimensionen vor dem Fernseher bis jetzt nur erahnen konnten. Die Stille hielt allerdings nicht lange an, denn der Stadionsprecher heizte die Stimmung im Stadion auf. Zu Partyhits wurden die Deutschlandfahnen geschwenkt und sogar die Vorspringer wurden von den knapp 10.000 Zuschauern, übrigens ein Quali-Besucherrekord, bejubelt und beklatscht – eine mitreißende Atmosphäre.
Andreas Wellinger mit glänzender Qualifikation
Die Qualifikation hielt dann auch einige Überraschungen bereit. Der zweimalige Tourneesieger Ryōyū Kobayashi aus Japan, der in Oberstdorf Zweiter geworden war, sprang nur auf Rang 17. Der Oberstdorf-Dritte und Weltcup-Führende Stefan Kraft aus Österreich belegte Platz sechs. Der Deutsche Andreas Wellinger dagegen legte einen glänzenden Sprung hin: Er erzielte mit 139 Metern die Tagesbestweite, musste sich allerdings nach Problemen bei der Landung mit Platz zwei hinter dem Slowenen Anže Lanišek (134 Meter) begnügen. Dritter wurde Manuel Fettner aus Österreich.
Zweitbester DSV-Adler war überraschend Constantin Schmied als Neunter. Einen schwachen Tag erwischte dagegen Karl Geiger, der sich nur als 35. für den Wettkampf der besten 50 qualifizierte. Auch Pius Paschke, zuletzt Sieger in Engelberg, blieb als 25. hinter seinen Möglichkeiten zurück.
Hoffnungen auf den nächsten Sieg Deutschlands Skisprung-Star: Natürlich war auch Olympiasieger Andreas Wellinger bei der Tournee dabei.
Foto: Lisa Herbold
Auf dem Rückweg hingen wir unseren Gedanken nach und mussten die gerade erlangten Eindrücke erst einmal verarbeiten. Mit Platz zwei in der Qualifikation hatte Wellinger die besten Voraussetzungen für einen erneuten Sieg geschaffen. „Stell Dir vor, der Andi gewinnt das Ding morgen. Dann ist hier die Hölle los“, sagte ich nach einigen Minuten. „Ich glaube, morgen wird‘s richtig spannend“, war meine Mutter eher skeptisch. Sie sollte Recht behalten.
Anspannung liegt in der Luft
Am nächsten Tag machten wir uns wieder auf den Weg ins Olympia-Skistadion. Die Voraussetzungen waren ähnlich gut: Sonnenschein und kein Wind. Die Stimmung hatte sich allerdings verändert – Anspannung lag in der Luft. Auf den Wegen, auf denen wir tags zuvor nur vereinzelt andere Skisprung-Fans getroffen hatten (übrigens unweigerlich an den Fahnen zu erkennen, die aus den Rucksäcken guckten), fand jetzt eine Völkerwanderung statt. Aus allen Richtungen pilgerten die Menschen zur Sprungschanze.
Am Stadion angekommen dauerte die Prozedur der Einlasskontrolle und des Getränkekaufs länger als am Vortag, aber alles war sehr gut organisiert und lief gesittet ab. Apropos gesittet: An beiden Wettkampftagen haben wir insgesamt vier Polizisten gesehen. Zwei davon bewachten einen unbeschrankten Bahnübergang. Gegenüber den Hundertschaften und berittenen Polizisten, die mittlerweile zu einem Besuch im Fußballstadion dazugehören wie Bratwurst und Bier, war das eine willkommene Abwechselung und spiegelte eindrücklich die allseits friedliche Atmosphäre im Skisprungsport wider.
Besucherrekord an Neujahr
Nachdem wir uns auf unseren bekannten Plätzen eingerichtet hatten, verschlug uns dieses Mal nicht der Anblick der Sprungschanze die Sprache, sondern der Anblick der Fanmassen. Insgesamt waren an diesem Tag 21.000 Menschen im Stadion – ebenfalls ein Besucherrekord. Neben den vielen Deutschlandflaggen wurden auch einige polnische, österreichische und japanische Fahnen geschwenkt. Außerdem entdeckten wir überraschenderweise drei Fahnen mit dem HSV-Logo, deren Inhaber anscheinend lieber Skispringen in Bayern als Fußball in Hamburg schauten. Wer mag es ihnen verübeln?!
Spannendes Finale, komplizierte Bedingungen
Zurück zum Sportlichen: Für das Springen am 1. Januar hatten sich 50 Springer qualifiziert. Diese traten im ersten Durchgang in umgekehrter Reihenfolge gegeneinander an, also der Quali-Erste sprang gegen den Quali-Letzten, der Quali-Zweite gegen den Quali-Vorletzten und so weiter. Die DSV-Adler durften sich über eine gute Mannschaftsleistung freuen, denn acht der neun deutschen Starter qualifizierten sich für den Finaldurchgang, in dem es am Ende richtig spannend wurde.
Die Stimmung im Stadion war zu diesem Zeitpunkt ekstatisch. Die Fans unterschieden nicht mehr nach Nationalitäten, sondern trugen jeden Springer mit schwenkenden Fahnen, einem lauten „Ziiiiiieeeeehhhhh“ und tosendem Applaus von der Schanze ins Stadion – Gänsehaut pur.
Das deutsche Team bei der Siegerehrung: Acht der neun Starter qualifizierten sich für den Finaldurchgang. Andreas Wellinger wurde Dritter.
Foto: Lisa Herbold
Im Finale legte der Österreicher Manuel Fettner als Fünfter des ersten Durchgangs mit einem starken Sprung vor. Andreas Wellinger hielt stand, zeigte erneut einen nahezu fehlerfreien Sprung und setzte sich mit 138 Metern und 3,7 Punkten Vorsprung vor Fettner. Als die Noten der Punktrichter und die Platzierung auf der Leinwand angezeigt wurden, brach euphorischer Jubel im Stadion aus. Doch die Führung hielt nicht lange. Bei komplizierten Windbedingungen packte Anže Lanišek einen Satz auf 137 Meter aus und setzte sich dank der WindBonuspunkte vor Wellinger.
Die äußeren Bedingungen änderten sich nicht. Trotz starken Rückenwinds musste Jan Hörl starten, doch die schwierigen Verhältnisse machten einen Sprung in die Spitzenränge unmöglich. Der Österreicher wurde schließlich Fünfter.
Kobayashi musste lange auf die Starterlaubnis warten und wurde belohnt. Die Bedingungen verbesserten sich merklich, doch für einen Satz nach ganz vorne reichte es nicht. Der Japaner wurde Zweiter und blieb so ein heißer Kandidat auf den Gesamtsieg.
Ein unvergessliches Erlebnis
Nachdem wir die Siegerehrung verfolgt hatten, machten wir uns durchgefroren, aber glücklich auf den Weg in die Innenstadt von Garmisch-Partenkirchen, um auf die großartigen Erlebnisse anzustoßen. In einer Bar kamen wir mit den Eltern eines Vorspringers ins Gespräch, die uns versicherten, dass die Stimmung bei Skispringen in Oberstdorf und Willingen noch besser als im Olympiastadion sei. Kaum vorstellbar.
Unser Fazit: Obwohl unsere Hoffnung auf einen deutschen Tagessieg nicht erfüllt wurde, hatten wir zwei unvergesslich schöne Tage im Olympia-Skistadion. Die intensive Atmosphäre hat uns sofort in ihren Bann gezogen und den sportlichen Ehrgeiz in den Hintergrund rücken lassen. Besonders beeindruckt hat uns das friedliche und freundliche Miteinander der Fans und der Springer untereinander. Eines ist also sicher: Wir kommen wieder.