Kunst

Die Widersprüche sind unsere Hoffnungen: Nora Lube zeigt im Künstlerhaus Meinersen ihre dystopische Ausstellung

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 14.09.2024
Die Widersprüche sind unsere Hoffnungen: Nora Lube zeigt im Künstlerhaus Meinersen ihre dystopische Ausstellung

Das titelgebende Herzstück der Ausstellung von Künstlerin Nora Lube in Meinersen ist das Werk „What If I Promise to Keep It Quiet?“.

Foto: Nora Lube

Es ist ja so: Wenn die Schreckensnachrichten nicht mehr zu uns durchdringen, weil wir so abgehärtet und taub sind, dann braucht es manchmal einen ganz anderen Zugang, eine neue Form der Bühne, die uns mahnt. Wie ein Warnsignal kommt da eindrucksvoll die Ausstellung „What If I Promise to Keep It Quiet?“ von Künstlerin Nora Lube daher, die das Publikum im Künstlerhaus Meinersen leichenblass zurücklassen sollte. Die Werke der Stipendiatin der Landkreis-Gifhorn-Stiftung sind noch bis 29. September donnerstags, samstags und sonntags jeweils von 15 bis 18 Uhr zu sehen.

Als 1945 die Atombomben in Hiroshima und Nagasaki detonierten, brannten sie die Schatten der pulverisierenden Opfer in die Steinmauern. Sengende Hitze. Weißes Licht. Unvorstellbare Energie. Vermutlich kam der Mensch dem Untergang nie so nah wie in diesem Moment.

Seit zwölf Monaten ist die Künstlerin Nora Lube, geboren 1989, nun in Meinersen. Zuvor absolvierte sie ihr Diplom der Freien Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig in der Bildhauereiklasse von Thomas Rentmeister. „Ich war ausgebrannt, weil ich mir das Studium selbst finanziert habe und nebenbei arbeiten musste“, erklärt sie. Das Stipendium in Meinersen sei dann ein Segen gewesen. Wieder zu Luft kommen, auf tiefe Erschöpfung mit Ruhe antworten.

Die Installation „Ist da wer?“ zeigt das unausweichliche Ende, das uns doch überrascht.

Foto: Nora Lube

Nora Lube arbeitet als Bildhauerin und entwirft Rauminstallationen, die einem schon mal die Sprache verschlagen können. Sie nutzt häufig Überbleibsel, Reste, Brocken, die sie findet, und interessiert sich für Oberflächen, Strukturen und Textilien. In der Umgebung von Meinersen stößt sie zum Beispiel auf eine alte Plane, die eng geschnürte Strohballen vor der Witterung beschützen sollte, dabei aber selbst Verfärbungen erlitten hat. „Ich konnte den Bauern ausfindig machen, ich durfte einen Teil abtrennen“, erzählt die Künstlerin. Auch ein herausgebrochenes Teerstück einer Straße weckt ihre Aufmerksamkeit – das wird sofort aufgegriffen.

Ältere Werke aus ihrer Zeit in Berlin, wo sie Modedesign an der HTW Berlin studierte, zeigen eine Großstadtästhetik, wenn man so will vielleicht sogar eine Berlin-Ästhetik. In Meinersen tritt nun mehr die Natur zur Seite rein. Nora Lube beschreibt das als Gegenwartsarchäologie – zukünftige Relikte weisen darauf hin, dass es ein Vorbei gibt. „Doch der Verfall passiert manchmal sehr still“, sagt sie. Geschichten und Zeiten überlagern sich, das Vergessene wird zum Gefundenen und anschließend wieder zum Werkstück.

Ihre Arbeiten sind zwar häufig minimalistisch, lösen sich aber nicht in Abstraktheit auf. „Sie sind nicht deutungsfrei“, wie die Künstlerin bemerkt. Ein durchgehendes Thema, eventuell sogar das zentrale, ist die Zerstörung der Natur, die zweifellos vom Menschen ausgeht. Tiere, die verenden. Arten, die aussterben. Das Werk „Ist da wer?“, ein Schreckensgespenst, das in einen Spiegel schaut, sieht sich selbst, ohne sich dabei wirklich zu erkennen. Und es ist ein bisschen wie in dem Horrofilm „Scream“, wo die Protagonistin noch am Telefon mit dem Mörder telefoniert, obwohl er sich bereits in ihrem Haus versteckt.

Es sind die Widersprüche, die Nora Lube interessieren. Der Film „Silent Shoud“, den sie mit ihrem Freund Pascal Kanitz gedreht hat und der auch Teil der Ausstellung ist, erinnert schon namentlich an Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“. Manchmal möchte man schreien, doch es kommt kein Ton, oder man schaut ganz genau hin und sieht doch nichts. „Wir leben in einer Zeit, in der wir lernen, mit Widersprüchen umzugehen“, sagt sie.

Und deswegen ist ihre Kunst dann am Ende zwar dystopisch und die Welt scheinbar düster und verlassen, doch irgendwie geht‘s doch auch immer weiter. Die Ratte, die wundervoll die Apokalypse übersteht, auch wenn sonst alles grau und tot und verbrannt ist. Es scheint also doch etwas nach der Dystopie zu kommen – nur ist der Mensch dann noch beteiligt? Der Erde wohl egal.

Oder wie Bert Brecht sagte: „Die Widersprüche sind unsere Hoffnungen.“

Ausstellung von Nora Lube:
What If I Promise to Keep It Quiet?
Künstlerhaus Meinersen
Hauptstraße 2, Meinersen

Noch bis 29. September
Do., Sa., So. 15 bis 18 Uhr

noralube.de


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