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Die Liebe zum MTV Gifhorn kennt keine Grenzen, überspannt den Atlantik und entflammt nach über 50 Jahren

Marieke Eichner Veröffentlicht am 13.05.2021
Die Liebe zum MTV Gifhorn kennt keine Grenzen, überspannt den Atlantik und entflammt nach über 50 Jahren

Amerikas größter MTV-Gifhorn-Fan David „Dave“ Kuhn posiert stolz vor der San Diego Bay. Das Foto schoss seine Frau bei einem Spaziergang.

Foto: Privat

Durch die heißen Straßen von San Diego läuft ein Mann – gehüllt in Schwarz-Gelb. Es ist David Kuhn, der wohl größte MTV-Gifhorn-Fan auf der anderen Seite der Welt. Der Schal kam per Post, Jürgen Saggerer hat ihn verschickt. Kennengelernt haben sich der heutige MTV-Gifhorn-Vorsitzende und Dave als Offizieranwärter und Studenten der United States Naval Academy in Annapolis, Maryland. Das Wiedersehen folgte fast 50 Jahre später – in einem Videotelefonat. Seit April 2020 trifft sich ihr Jahrgang monatlich zum Zoom-Call. Im transatlantischen Interview mit KURT-Mitarbeiterin Marieke Eichner erzählen Dave und Jürgen ihre Geschichte. Es ist die Geschichte von zwei Männern und einer Fußball-Liebe, die keine Grenzen kennt.

David „Dave“ Kuhn spricht Englisch: „Es war vor etwa einem Jahr“, berichtet er. „Einer unserer ehemaligen Mitschüler hatte die Idee. Wir wollten einfach wissen, was die anderen mittlerweile so machen, speziell auch in der Pandemie.“

Zu diesem Zeitpunkt hatte Jürgen Saggerer noch mit dem einen oder anderen seiner alten Mitschüler Kontakt: „Bei einem Navy-Football-Spiel in Dublin 2012 habe ich damals zwei oder drei ehemalige Kameraden aus unserer Kompanie getroffen, wir haben unsere Mail-Adressen ausgetauscht.“

Im April vergangenen Jahres erhielt Jürgen dann eine Nachricht mit der Frage, ob er nicht Lust habe, an einem Zoom-Call seines alten Jahrgangs teilzunehmen. Und wie er Lust hatte! Seit April 2020 treffen sich die Midshipmen der 36. Kompanie der „Class of 1973“ der United States Naval Academy monatlich. „Immer um 14 Uhr meiner Zeit“, lacht Dave. „Dafür bleibt Jürgen sogar bis Mitternacht wach – und das weiß ich wirklich zu schätzen!“

Transatlantisches Interview: Für Jürgen (oben links) und Marieke war es schon später Nachmittag – bei Dave wurde gerade erst gefrühstückt.

Foto: Privat

Doch alles auf Anfang: Wie kommt jemand mit einem so charakteristisch deutschen Vornamen an die US-Naval-Academy? „Ich bin mit meinen Eltern als Zehnjähriger in die USA ausgewandert“, erzählt Jürgen. „1969 habe ich dort meinen High-School-Abschluss gemacht.“ Während dieser Zeit hörte er von der Möglichkeit, an der Naval Academy kostenfrei studieren zu können. „Als es dann noch hieß, man könne sich zum Piloten ausbilden lassen, war ich überzeugt, das dies was für mich sein könnte.“

„Irgendwann Ende Juni 1969“, so Dave, startete die vier Jahre dauernde Offizierausbildung inklusive Studium an der Ostküste der USA. „Wir hatten damals also nicht viel Sommerferien“, lacht er. Es folgten zwei Monate sogenanntes Bootcamp. „Das war wie eine Grundausbildung“, meint Jürgen. Gleich am ersten Tag schnitt man den Plebes genannten Neuzugängen das Haar ab. Die Zivilkleidung, in der sie angereist waren, wurde gleich am nächsten Tag zurück nach Hause geschickt. „Nur die upper class – also die Midshipmen im zweiten, dritten und vierten Jahr – durften an den freien Wochenenden in Zivilkleidung raus“, betont Jürgen.

Jürgen (breit grinsend in der oberen Reihe, vierter von links) und Dave (mittlere Reihe, sechster von links) im Jahr 1970. Am Ende des ersten Jahres an der Naval Academy erhält der Uniformärmel einen schrägen Streifen.

Foto: Privat

Morgens um halb sechs wurden die neuen Rekruten aus dem Bett geklingelt. „Dann mussten wir raus und erst mal eine Runde Sport machen“, berichtet Jürgen. „Um sieben ging es frisch gestriegelt in Uniform zum Frühstück.“

Die ersten zwei Monate an der Academy waren geprägt von vielen Vorträgen – etwa über Drogen- und Alkoholmissbrauch und dem allgemeinen Verhaltenskodex für die Midshipmen. „Dann gab man uns noch ein Büchlein mit Infos über Schiffs- und Flugzeugbezeichnungen sowie sämtliche Offizier- und Dienstgradränge der unterschiedlichen Militäreinheiten. Damit haben die uns richtig getriezt“, erinnert sich Jürgen grinsend. „Das mussten wir in den ersten Wochen auswendig lernen. Körperlich und mental waren wir abends am Ende.“ Da stimmt auch Dave zu: „Wir hatten wirklich einen vollen Zeitplan. Das hat uns am Laufen gehalten. Es war lustig.“ Und ein wenig wehmütig: „Es war gut.“

Doch das sahen bei weitem nicht alle Midshipmen so. „Zu Anfang waren wir etwa 1300 – im vierten und letzten Jahr waren davon noch etwa 900 übrig“, schätzt Jürgen. „Deswegen war ich überrascht, dass ich überhaupt das erste Jahr überstanden habe – das war schon ein Erfolg“, lacht er. „Ich war locker drauf und galt bei meinen Lehrkräften nicht unbedingt als diszipliniert. Sie haben zum Teil Wetten abgeschlossen, dass ich keinen Monat durchhalten würde. Und das hat mich motiviert.“

Juni ‘73: Nach der Abschlussfeier sprangen Dave (vorne) und die anderen Absolventen mitsamt Freunden und Familien ins Springbrunnenbecken auf dem Campus der Navy in Annapolis, Maryland.

Foto: Privat

„Bei vielen meiner Midshipmen war bereits der Vater Offizier“, berichtet Jürgen. „Die Jungs waren beinahe familiär verpflichtet, den gleichen Weg zu gehen.“ Als er hingegen mit seinem Studiumswunsch nach Hause kam, kannten seine Eltern die Naval Academy noch nicht. „Für mich war es einfacher. Ich habe mir selbst Druck gemacht.“

Engere Freundschaften zu schließen sei anfangs schwierig gewesen. „Die einzige Möglichkeit jemanden näher kennenzulernen waren die Zimmergenossen“, erinnert sich Dave. Die Offizieranwärter teilten sich jeweils zu dritt ein Schlafzimmer auf dem Campus, in einem Gebäude mit 4000 anderen Midshipmen – ihre Unterkunft für die gesamten vier Jahre. „Und die Zimmergenossen wechselten jedes Jahr“, gibt Dave zu bedenken – und bedauert: „Wir haben nie zusammen gewohnt, Jürgen.“

Ihr gemeinsames Interesse – der Fußball – führte die beiden erst Jahre später zusammen. Doch zunächst trennten sich ihre Wege: „Nachdem mir mitgeteilt wurde, dass meine Sehstärke für das Fliegen nicht mehr ausreichend sein würde, habe ich meine Ausbildung knapp anderthalb Jahre vor meinem Abschluss abgebrochen“, berichtet Jürgen. Daraufhin besuchte er eine private Universität in Boston und absolvierte dort auch seinen Abschluss. Allerdings: „Nachdem ich bei der Navy meinen Hut gezogen hatte, musste ich für drei Jahre als Reservist dienen und einmal im Monat da antanzen. Und einmal im Jahr musste ich für zwei Wochen auf ein Schiff.“

Jürgens Mutter fotografierte ihren Sohn stolz beim Parents Weekend – dem ersten Besuch nach zwei Monaten Naval Academy.

Foto: Privat

Dave hingegen blieb an der Academy: „Im Juni 1973 habe ich meinen Abschluss gemacht.“ Anschließend absolvierte er die fünf verpflichtenden Dienstjahre in der US-Navy auf „ein paar verschiedenen Schiffen“ und war als Teil der Nato-Flotte im Nordatlantik auch in Europa unterwegs.

Danach verabschiedete sich Dave von der Navy und machte an der Ohio Universität seinen Master in Sportmanagement. 1979 wurde er Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der San Diego Sockers, ein Team der North American Soccer League. Ein Jahr später wechselte er zur Sportabteilung für Medienarbeit der Universität in San Diego und kümmerte sich dort um die Publicity für etwa 10 Männer- und 15 Frauensportarten.

Zwar ist Dave seit 2017 in Pension – „aber ich lebe in der Nähe der Universität, wenn meine Hilfe gebraucht wird, bin ich noch immer zur Stelle.“

Parallel zu seiner PR-Arbeit begann Dave in den 80ern selbst zu kicken. „Das muss so 1982 gewesen sein, nach meiner Heirat“, überlegt er. „Da bin ich auf eine Anzeige aufmerksam geworden. Gefragt wurde, wer Lust aufs Fußballspielen hat.“ Dave war sofort dabei. „Ich habe damals jeden Sonntag um fünf die Fußball-Shows im Fernsehen geguckt und mir gedacht: Das kann ich auch!“

Jürgen Saggerer, Vorsitzender des MTV Gifhorn, schickte im Herbst 2020 ein Paket mit Fanartikeln an seinen alten Kumpel Dave.

Foto: Uwe Beckmann

So startete Dave in der „Huff-n-Puff-League“ im Amateur-Fußball. „Und wir waren furchtbar schlecht“, lacht er. „Wir hatten keine Ahnung. Das Rennen war nicht das Problem – aber wir hatten keine technischen Fähigkeiten.“ Vielmehr sei es der Mannschaft um sportliche Betätigung und Zusammenarbeit gegangen – „darum, zusammen eine gute Zeit zu haben“, denkt er gern zurück. Und letztlich gewann Dave mit seiner Mannschaft sogar den Liga-Pokal.

„Als ich mit dem Fußballspielen anfing, kannte das hier kaum jemand“, berichtet Dave. „Aber mittlerweile wird der Sport immer populärer. Nicht zuletzt wegen der erfolgreichen US-Frauenmannschaft.“ Seine erste Tochter fing schließlich auch mit dem Kicken an. „Und dann wollten die zwei anderen auch“, lacht Dave. „Heute spielen alle drei.“

Jürgen hingegen arbeitete zurück in Deutschland beinahe 40 Jahre lang im technischen Vertrieb für eine Zulieferfirma, wie er stolz erzählt. Seit 2015 ist er im Ruhestand. Ruhig geht’s aber selten bei ihm zu, immerhin ist er seit 2019 Vorsitzender des MTV Gifhorn.

Und genau dieser Umstand hat ihn und Dave wieder zusammengebracht, als im April vergangenen Jahres die monatlichen Zoom-Calls der ehemaligen Midshipmen starteten. „Zu Anfang hat man sich erst mal wieder mit seinem Lebenslauf vorgestellt und erzählt, was man in den vielen Jahren so gemacht hat“, berichtet Jürgen. Und als da der Gifhorner MTV-Chef seine Geschichte erzählte, wurde Dave hellhörig.

Sein Zimmer im Wohnheim „Bancroft Hall“ teilte sich Dave mit zwei Mitschülern.

Foto: Privat

„Als ich herausgefunden habe, was Jürgen heute macht, habe ich die Website vom MTV Gifhorn gesucht“, knüpft er an. „Bis zum zweiten Lockdown habe ich mir die Spiele der 1. Herren-Fußballmannschaft online angesehen und jede Woche den Tabellenstand überprüft. Ich habe mich einfach verliebt“, schwärmt Dave.

„Das Pokal-Halbfinale im vergangenen Jahr habe ich mir natürlich auch angesehen“, betont der begeisterte MTV-Gifhorn-Fan von der anderen Seite des Atlantiks. „Da haben wir im Elfmeterschießen gewonnen“, erinnert sich Jürgen mit einem Lächeln. „Aber die Kamera hat das Elfmeterschießen gar nicht gezeigt“, wirft Zuschauer Dave ein. „Ich hab nur das Stadion jubeln gehört – aber ich wusste erst mal nicht, wer gewonnnen hat.“

„Irgendwann habe ich Jürgen mal nach einem Mannschafts-Schal gefragt“, erzählt Dave beschwingt. „Und im Laufe des Herbstes bin ich Daves Wunsch nachgekommen“, ergänzt Jürgen. „Und habe gleich noch einen Wimpel und ein Schlüsselband dazu gepackt.“

In der Bundesliga drücke er Borussia Dortmund die Daumen, erzählt Dave. Und nun ist der US-Amerikaner also MTV-Gifhorn-Fan geworden. Ein Vorteil dabei: Die Farben passen gut zusammen.


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