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Damit weder Herz noch Lebenswille taub werden: Gifhorns Kampfsport-Legende Eddy Oglu trainiert wieder – trotz halbseitiger Lähmung

Marieke Eichner Veröffentlicht am 29.12.2020
Damit weder Herz noch Lebenswille taub werden: Gifhorns Kampfsport-Legende Eddy Oglu trainiert wieder – trotz halbseitiger Lähmung

„Ihm ist, als ob es Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.“ Mit dieser Zeile aus dem Gedicht „Der Panther“ von Rainer Maria Rilke beschreibt der Gifhorner Eddy Oglu seine Lebenssituation.

Foto: Çağla Canıdar

Kung-Fu-Kämpfer und Tai-Chi-Meister – Schlaganfallpatient und Lebenskünstler. Mit 57 Jahren hat Eddy Oglu bereits eine Lebensgeschichte hinter sich, die für mehr als nur einen Hollywood-Streifen reichen würde. Als Ausnahmetalent machte er die asiatischen Kampfkünste in Gifhorn bekannt und kann auf eine außergewöhnliche sportliche Karriere zurückblicken – doch seit einem Schlaganfall vor neun Jahren ist die linke Hälfte seines Körpers gelähmt. Aber Aufgeben ist keine Option! Im Fitnessstudio eines Freundes trainiert er fleißig – und gibt im Gegenzug dafür Unterrichtsstunden im Tai Chi. Dies ist die Geschichte, wie Eddy Oglu zurück auf die Matte kehrte.

„Schlaganfall. Sie sind linksseitig gelähmt.“ Diese Worte lösen einen Schock in Eddy Oglu aus – 30 Tage waren vergangen, als er aus dem Koma erwacht. Gerade war er noch nach Zypern gereist, wollte sich auf einen Tai-Chi-Kursus vorbereiten – und lag dann unterm Schreibtisch, nicht mehr dazu fähig, wieder aufzustehen.

„Als ich aufwachte, wusste ich gar nicht, was los war“, erzählt Eddy. „Dann sagte die Krankenschwester diese Worte. Das war, als ob ein Schalter umgestellt wird.“ Auch Eddys Leben stellt sich um. „Das Gehirn sucht sich neue Wege“, weiß Eddy heute. „Die alten sind zerstört – da muss man eben Umwege schaffen.“

Dazu geht Eddy in der Bewegungsschule im Gifhorner Blumenviertel bei seinem Freund Max Budziat zur Therapie – und gibt im Gegenzug Tai-Chi-Unterricht. Tai Chi, das sei „der Gedanke an die Verbundenheit mit der Natur, als Mensch zwischen Himmel und Erde zu sein“, erklärt Eddy.

„Und jetzt den Po anspannen.“ Bei dieser Anweisung von Max muss Eddy kichern. Das Schelmische konnte ihm der Schlaganfall nicht nehmen.

Foto: Çağla Canıdar

Seinen Rollstuhl bewegt Eddy mit den Zehenspitzen, die rechte Hand hält die linke auf dem Schoß. Die Finger an der linken kann er leicht krümmen – schon ein Erfolg, aber mehr geht nicht.
Am Anfang stand die deprimierende Prognose der Ärzte. „Die sagten, ich könnte nur etwa zehn Prozent meiner verlorenen Fähigkeiten wieder erlangen“, erinnert Eddy sich. Trotz und Stolz klingen in seiner Stimme mit. Trotz darüber, dass ihn das Schicksal in seinem Körper einsperrt. Und Stolz darauf, wie weit er sich schon jetzt wieder zurückgekämpft hat. „Ich weiß, dass ich nie wieder Flick-Flacks machen kann“, bedauert Eddy in ernstem Ton. „Aber ich muss niemandem mehr etwas beweisen – meine Kunst habe ich schon oft bewiesen.“ Jetzt geht es darum, nicht mehr nur eingesperrt zu sein, sondern am Leben teilzunehmen – und das Training ist der Anfang.

Einst schon war Eddy Trainer für Tai Chi und Kung Fu. Sogar auf der großen Bühne beim Gifhorner Altstadtfest trat er auf. „Damals haben die Leute Sachen auf der Bühne gesehen, die bekam man sonst nur im Kino“, erinnert sich der begeisterte Bruce-Lee-Fan.

Verträumtes Erinnern an vergangene sportliche Höchstleistungen, schelmenhaftes Scherzen und eine sich der Resignation verweigernde Entschlossenheit sind in Eddys Gesicht deutlich zu sehen – und in seiner Stimme zu hören.

„Mit sieben oder acht Jahren“, meint Eddy, habe ihm ein Mann zum ersten Mal gezeigt, wie viel Kraft sich im Kung Fu offenbart. „Es war beinahe wie ein Zaubertrick für mich. Es hat mein Weltbild über starke Männer verändert“, erklärt er. „Da ist eine Kraft, die man anzapfen kann – egal wie groß oder klein man ist. Und die ist stärker, als reine Muskelkraft.“

Mehr als reine Muskelkraft muss auch das sein, was Eddy nun – neun Jahre nach seinem Schlaganfall – aus dem Rollstuhl treibt. Unter höchster Konzentration und Anspannung erhebt sich der alte Meister – und tritt mit seinem Freund Max auf die Matte.

Erst zeigt Eddy alleine einige Übungen des Tai Chi. Er erklärt mit ruhiger Stimme die Namen der Figuren und führt mit fließenden Bewegungen seinen rechten Arm um den Körper – seine Füße sind um Gleichgewicht bemüht. Dann tritt Max hinzu, die beiden beginnen mit einer Partnerübung und sind so vertieft, dass Eddy das Interview beinahe schon vergessen zu haben scheint.

Doch bevor er sich verabschiedet, möchte Eddy noch ein Gedicht mit auf den Weg geben. Mit sanfter, leiser Stimme rezitiert er „Der Panther“ von Rainer Maria Rilke. Rilkes Panther ist eingesperrt in einem Käfig, rastlos, abgeschnitten von der Welt – seinen Willen und sein Herz hat die Gefangenschaft taub werden lassen. Und während Eddy die Verse über seinen Leidensgenossen vorträgt, kämpft der große Mann plötzlich mit den Tränen. Und der Verzweiflung. Darüber, dass sein Körper ihn einsperrt; dass der nicht mehr so kann, wie Eddy will.

Sein Ringen mit der Resignation ist tief in Eddys Augen zu erkennen. Doch er gibt nicht auf. Mit jeder Bewegung kämpft Eddy weiter – für den Glauben daran, dass es irgendwie weitergehen wird. Und für die Entschlossenheit, weder sein Herz noch seinen Lebenswillen taub werden zu lassen.


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