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Anti-Sein fördert keine Re-Demokratisierung: KURT-Autor Malte Schönfeld warnt davor, die Sichtbarkeit von Demos zu überschätzen

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 18.02.2024
Anti-Sein fördert keine Re-Demokratisierung: KURT-Autor Malte Schönfeld warnt davor, die Sichtbarkeit von Demos zu überschätzen

Demos in Gifhorn gewinnen an Aufmerksamkeit: Die Bauernproteste in Gifhorn gipfelten in beispielloser Geschmacklosigkeit, die Kundgebung gegen Rechtsextremismus

Foto: KURT Media via Dall-E (Illustration)

Die Zeiten scheinen so politisch wie lange nicht. Manche sagen sogar, sie seien hyperpolitisch, wie der belgische Historiker Anton Jäger beschreibt. Seine Einschätzung: Alles ist politisch, nichts verändert sich. Weil es den progressiven Kräften an Institutionalisierung fehle. Will meinen, dass die Menschen zwar den Eindruck haben, sie seien politisch, doch unmobilisiert wird nichts Praxis und schon gar nicht Gesetz. Auf das 20. Jahrhundert und seine starken Parteien, Gewerkschaften und Verbände, aber auch die Kirchen folge ein Zerbröseln der hyperpolitischen Gesellschaft. Denken wir von hier an mal los.

Der Krieg in der Ukraine, der Wieder-Krieg im Gaza-Streifen, Migrations- und Fluchtbewegungen, jetzt die nervenaufreibenden Streiks bei der Bahn, Bauernproteste, die Wannseekonferenz 2.0, die Gründung der Partei BSW, die bevorstehende Gründung der Werteunion. Ausgerechnet dann stirbt noch der Kaiser. Crazy, was abgeht. Überfordernd. Und auf dem Gifhorner Marktplatz steht ein bedrohlicher Galgen, der dann wieder nicht so gemeint gewesen sein soll. An der eindeutigen Symbolik möchten sich die Verantwortlichen und Protestler nicht aufhängen.

Steinalt ist der holzige Galgen schon, richtig beliebt wird er doch erst in der Regierungszeit von Karl dem Großen. Im 8. Jahrhundert war das. Die Moderne wandte sich zwar nicht vom Exekutieren ab, doch aber weitestgehend vom Hängen. Den Galgen führten die Nazis wieder ein. Erst traf er viele Widerstandskämpfer, später wurden Delikte wie Fahnenflucht und die „Wehrkraftzersetzung“ mit dem ausweglosen Strick bestraft. Im Strafgefängnis Plötzensee in Berlin befehligte Hitler persönlich das Hängen von Gegnern am Fleischerhaken mit Schlingen aus Klaviersaiten.

Die dümmsten Bauern zimmern die größten Galgen – oder wie das Sprichwort geht.

Doch zurück zur crazy überfordernden Zeit. Es trifft sich also in Potsdam die Neue Rechte, das kommt im Januar ans Licht, und redet über Neue-Rechte-Talking-Points, wie zum Beispiel „Remigration“, was auf Bauerndeutsch auch „Deportation“ heißen könnte. Das ruft die Demokraten auf den Plan. Bundesweit demonstrieren sie gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Auch in Neubokel und Gifhorn mobilisiert sich der Widerstand, es sprechen Politiker, Kirchenvertreterinnen, Bürger.

Wer nun allerdings meint, das sei der große Sieg der Demokratie gewesen, der irrt. Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass mit Sichtbarkeit allein etwas erreicht ist. 2000 Menschen auf der Straße – das interessiert schon zur Europawahl niemanden mehr. Aus den unausgeschöpften Potentialen von Black Lives Matter oder Fridays For Future müssen die Demokraten lernen.

Was auch nicht verstanden wird: Dass Anti-Sein keine Re-Demokratisierung fördert. Was sich Bürgerinnen und Bürger wünschen, sind Integrität und Herzlichkeit auf der einen Seite sowie kreative Vorschläge und Sachargumente auf der anderen. Antirassismus und Antifaschismus sind wesentlich, aber wo ist das Pro geblieben?

Das Gegen zum Kern eines demokratischen Diskurses zu machen, scheint mir wenig zielführend. Denn es entwöhnt und entbildet die Bürger. Bis Politik am Ende nur noch aus privaten Karriereleitern besteht.


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