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Schönheit hin, Emanzipation her: KURT-Kolumnist Malte Schönfeld hinterfragt die Häufung von Beauty-OPs
Malte Schönfeld Veröffentlicht am 08.10.2023
Schönheits-OPs haben in den vergangenen Jahren noch einmal sprunghaft zugenommen. Das hat viele, teilweise gute Gründe. Doch Schönheit kann auch Zwang bedeuten, findet KURT-Kolumnist Malte Schönfeld.
Foto: Pexels
Bevor ich einschlafe, gucke ich immer noch YouTube. Ich liebe YouTube. Es ist die beste Plattform der Welt. Dort geht wirklich alles. Schlaraffenland. Ungefähr so muss die Bibliothek von Alexandria auf die Gelehrten der Antike gewirkt haben. Unendlichkeit.
Direkt auf der YouTube-Startseite entschuldigt sich in einem Video live der mutmaßliche Antisemit Hubert Aiwanger. Daneben finde ich ein Video mit einem unveröffentlichten Album vom gesicherten Antisemiten Ye, vormals Kanye West. Und einmal gescrollt, möchte mir SternTV die Party-Droge Lachgas näherbringen.
Hängen bleibe ich anderswo. Ich bin nun begeisterter Zuschauer von Dr. Gary Linkov. Der US-amerikanische Schönheitschirurg analysiert auf YouTube Promi-Gesichter und erklärt, was da wohl vielleicht mutmaßlich eventuell geschnippelt, gerade gebogen, gedeichselt und eingesetzt wurde. Tom Cruise, Ryan Gosling und Prinz Harry sind ihm genauso Videos wert wie Madonna, Taylor Swift und Zendaya.
Ich persönlich kenne jetzt keine Promis. Ich habe einmal Enie van de Meiklokjes auf einem Dreirad durch Berlin-Friedrichshain fahren sehen und fand das schon Red-Carpet-Golden-Globe-mäßig wild. Doch man sieht Menschen mit sichtbaren Eingriffen ja nicht nur bei Instagram, auf HBO oder in der Bunten. Wir finden sie in der Gifhorner Fußgängerzone, im Zug, im Fitness-Studio. Und ich gewinne den Eindruck, dass sich die Sichtungen häufen.
Um das festzuhalten: Jede erwachsene Person entscheidet über ihr Äußeres – ob es um die Beseitigung von Narben, Lip Filler oder Haartransplantationen geht. Ich weiß, dass die kosmetische Chirurgie etwas anderes ist als
die plastische Chirurgie. Trotzdem müssen wir einmal bitte offen und ehrlich darüber sprechen, was gerade geschieht.
Back in the day waren es die Hollywood-Stars, die sich Botox spritzen und die Kieferimplantate einsetzen ließen. Da hieß es: Die stehen im Rampenlicht, Blitzlichtgewitter, hoher Druck, dickes Portemonnaie. Da konnte man irgendwie Verständnis aufbringen. Auch wenn die Begründungen dafür schon immer schwach waren und falsch bleiben.
Inzwischen betrifft kosmetische Chirurgie alle. Wir hängen ja nicht nur am Telefon, sondern auch in der ständig klickenden Foto-App. Und während der Lockdown-Zoom-Meetings hatten wir viel Zeit, uns in den Laptopkameras zu erforschen – die Zahlen für kosmetische Eingriffe sind seitdem nochmal schockierend in die Höhe katapultiert. Ohne Reisen war das Geld ja da. Dazu ist der technische Fortschritt wie immer ein großer Gleichmacher.
Stirnfalten, die verschwinden, kantige Kinnpartien, Haare, die voller aussehen – es wird uns bald nicht mehr auffallen, wenn Menschen plötzlich anders aussehen. Das liegt auch daran, dass wir uns ständig in TikTok-Filtern betrachten. Vor allem Kinder und Jugendliche. Hundeohren, Rouge auf der Wange, Anime-Augen. Von der einen Seite zerren die Schönheitsideale, von der anderen die Filter-Spielereien.
Man kann immer so tun, als wäre alles ein großer Akt der Emanzipation. So auch bei kosmetischen Eingriffen. Ich bezweifle das. Ich denke, wir fallen da auf etwas rein. Wenn Erwachsene wie Jugendliche und Kinder sich nicht in ihrem Körper wohlfühlen, ist das bedenklich.
Genauso, wenn sie Trends hinterherjagen.
In einer Zeit, in der Trends aber immer schneller kommen und gehen, ist die fixe Veränderung ein Trugschluss. Kim Kardashian kann ihren Brazilian Butt Lift rückgängig machen, Zac Efron seine Implantate auch. Nur sollten wir dann auch uns eingestehen und unseren Söhnen und Nichten erklären, dass Befreiung manchmal auch Zwang bedeutet.