Raum für Notizen
Raum für Notizen: KURT-Kolumnistin Marieke Eichner erzählt von einer echt komischen WG-Party und einem Dude mit Titten
Marieke Eichner Veröffentlicht am 02.06.2022
KURT-Kolumnistin Marieke Eichner wurde auf einer echt komischen WG-Party einst als „Dude mit Titten“ vorgestellt. Damals hielt sie es für ein Kompliment – heute denkt sie anders darüber.
Foto: Rodnae Productions/Pexels
Ich war mal auf einer echt komischen WG-Party. Die einzige Frau im Raum war ich. „Das ist Rieke“, stellte mich der Gastgeber vor. „Sie‘s cool. Sie‘s wie‘n Dude mit Titten.“
Damals habe ich gelacht. Ich hab‘s für ein Kompliment gehalten. Heute kommt es mir wie eine Rechtfertigung vor. Und als ein Ausdruck eines kruden Bildes von Geschlechterrollen.
Zunächst lässt sich diese Vorstellung als Entschuldigung dafür lesen, eine Frau eingeladen zu haben. Fragt sich: Warum? Hey Leute, es ist Weibsvolk anwesend, sorry. Aber ein Dude mit Titten – das nimmt doch gleich den Performance-Druck raus. Wieder frage ich mich: Warum? Warum sollte das nötig sein? Das ist eine Rechtfertigung vor und von Männern, die in Gesellschaft von Frauen nicht sie selbst sein können – oder wollen.
Vor allem aber sagt diese Vorstellung aus: Ist nicht so schlimm, dass Rieke jetzt da ist. Sie ist ja eh keine richtige Frau. Puh. Was soll ich mit einer solchen Aussage anfangen? Zumal ich solche und ähnliche Einschätzungen meiner Person schon häufiger zu hören bekommen habe: Ich sei männlich sozialisiert.
Aber was genau das zu bedeuten habe, konnte mir auf Nachfrage bisher auch niemand erklären. Könnte das vielleicht daran liegen, dass diese gesellschaftlichen Rollenbilder der Geschlechter dazu neigen, in sich zusammenzufallen, sobald man nach einem plausiblen, widerspruchsfreien Ursprung für sie sucht?
Es ist diese Erwartungshaltung, die mich fertigmacht. Warum sollte ich mich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten, weil Menschen mich als Frau lesen?
Der Comedian Moritz Neumeier formuliert in einem Bit zum Thema Sexismus, natürlich sei es heute schwieriger als früher, seine Männlichkeit zu suchen. Aber: „Das Beste ist, Du darfst es Dir aussuchen. Du definierst Deine Männlichkeit.“
Vielleicht also braucht‘s nach dem Aufbrechen der als weiblich bezeichneten gesellschaftlichen Rolle – das beileibe noch nicht abgeschlossen ist – auch einen neuen Entwurf von Männlichkeit. Einen Entwurf, der sich endgültig von der Bipolarität der Geschlechter verabschiedet. Denn offensichtlich bringt sie uns nicht weiter. Warum also noch an biologischem und sozialem Geschlecht zur Einordnung von Menschen festhalten? Warum überhaupt Menschen in Schubladen pressen?
In meinem Leben habe ich mir keine Frage so oft gestellt, wie die nach dem Warum. Und ich gebe zu, viele dieser Warums bleiben bis heute unbeantwortet. Eines weiß ich allerdings mit Sicherheit. Jüngst war ich mit Freunden unterwegs, als mir sehr nachdrücklich eine Jacke angeboten wurde, immer wieder, falls mir kalt werden sollte. Außerdem andere lieb gemeinte, aber in ihrer Frequenz deplatzierte Hilfsofferten. Bis einer meiner Freunde laut lachte: „Mach Dir mal keine Sorgen, niemand ist so selbständig wie Rieke.“ Und das ist wirklich das schönste Kompliment, das ich je gehört habe.